Realutopien bringen die Stadt der Zukunft näher Interview mit Stella Schaller
AktuellesBilder, die die Zukunft zeigen? Wenn wir optimistisch sind, ja. Das Reallabor Reinventing Society forscht und erarbeitet utopische Konzepte für eine regenerative Gesellschaft. In diesem Jahr veröffentlicht das interdisziplinäre Team den Bildband „Zukunftsbilder 2045“. Darin sind Orte in Deutschland zu sehen – in ihrem größten zukünftigen Potenzial. Basierend auf aktueller Forschung und neuen Ideen taucht die Stadt etwa als lebendige Oase und Sehnsuchtsort auf.
Die Visualisierungen sollen dazu motivieren, diese Zukunft zu verwirklichen. Was steckt hinter den „Realutopien“? Und wie können sie helfen, die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) und die deutschen Klimaziele zu erreichen? Dazu haben wir mit Stella Schaller gesprochen, die das Projekt der Zukunftsbilder verantwortet.
Im Forschungsprojekt “Zukunftsbilder 2045: Die Geschichte einer gelungenen Transformation” zeichnen Sie mit Ihrem Team u.a. ein Bild von Städten in einem klimaneutralen Deutschland. Diese Stadtbilder sind bewusst utopisch angelegt. Wie kann Optimismus uns helfen, Herausforderungen (der Zukunft) zu bewältigen?
In den Medien dominieren oft Zukunftsbilder, die ohnmächtig oder wütend machen, uns lähmen oder verzweifeln lassen. Viele Menschen fühlen sich hilflos oder assoziieren Nachhaltigkeit mit Verzicht und hohen Kosten. Utopische Zukunftsbilder setzen hier an und zeigen auf, wie schön eine regenerative Umgestaltung unserer Gesellschaft überhaupt aussieht, wie sie sich anfühlt, was für einen Mehrwert sie bringt. Bilder wirken stärker als Fakten, sprechen ganz tiefe Sehnsüchte an. Sie halten uns einen Spiegel vor, in dem wir erkennen, was alles anders sein könnte. Die positiven Visionen wirken wie Leitsterne, an denen wir uns ausrichten können, um den komplexen Alltag zu bewältigen und um eine Orientierung zu haben, wohin wir eigentlich wollen. Und sie inspirieren, selbst über Zukünfte nachzudenken und seinen eigenen inneren Kompass auszurichten.
"Die Stadt der Zukunft integriert sich harmonisch in die Umwelt und ihre ökologischen Kreisläufe."Stella Schaller, Transformationsforscherin
Wie sehen die realutopischen Städte der Zukunft aus? Was unterscheidet sie vom Status quo heute?
Die Stadt der Zukunft hat eine positive Wirkung auf das Leben, auf Natur, Gesundheit, Kreativität und soziales Miteinander. Sie integriert sich harmonisch in die Umwelt und ihre ökologischen Kreisläufe. Das heißt, sie hat nicht nur grüne Dächer und Fassaden für die Artenvielfalt und Stadttemperatur. Sie funktioniert tatsächlich nach Prinzipien der Regeneration, insbesondere was das Bauen und die Energieproduktion betrifft. Beispielsweise werden Häuser so gebaut, dass sie nachher sortenrein wieder auseinandergenommen werden können und die Rohstoffe weitergenutzt. Die Energieversorgung wird durch regenerative und dezentrale Quellen gesichert – Bürgerinnen und Bürger können selbst Strom auf ihrem Dach erzeugen.
Die Zukunftsstadt ist außerdem menschenzentriert. Heute sind öffentliche Räume meistens mit Konsum verbunden und die Stadtstruktur für das Auto geplant. Öffentliche Plätze, Agoras, Gemeinschaftsgärten und Kulturorte gewinnen an Bedeutung – sie stärken die Demokratie und Lebensqualität, indem Menschen sich begegnen, voneinander lernen und miteinander Dinge schaffen. Heute sind in München fast 19 Prozent der Stadtflächen für das Autoparken reserviert. Diese Fläche wird in der wünschenswerten Zukunft besser genutzt.
"Bleibt es bei rationalen Konstrukten und abstrakten Diskursen oder verlieren wir uns im Klein-Klein, wird es nicht zum notwendigen Wandel kommen. Wir sind multisensorielle Wesen und müssen emotional und im Herzen aktiviert werden, damit Wissen tiefer dringt und wir Gewohnheiten wirklich ändern."
Wie wichtig ist Emotion als Schlüssel für nachhaltige Transformation?
Eine regenerative Gesellschaft basiert auf neuen Prinzipien – Regeneration statt Extraktion, Kooperation statt Konkurrenz, Verbundenheit statt Trennung. Bleiben diese Prinzipien rationale Konstrukte und abstrakte Diskurse oder verlieren wir uns im Klein-Klein, wird es nicht zum notwendigen Wandel kommen. Wir sind multisensorielle Wesen und müssen emotional und im Herzen aktiviert werden, damit Wissen tiefer dringt und wir Gewohnheiten wirklich ändern. Daher sind Erfahrungsformate wie Bilder, Geschichten aber auch Seminare und Workshops, in denen tiefere Ebenen angesprochen und neue Paradigmen verankert werden, so effektiv. Sich mit den emotionalen Barrieren und Ressourcen zu beschäftigen, setzt Kreativität, Visionskraft und Begeisterung frei.
Welche Organisationen ziehen Sie bei Ihren Recherchen u.a. zu Rate?
Das „Bauhaus der Erde“ ist eine innovative Organisation, die in Anlehnung an die Bauhaus-Bewegung des 20. Jahrhunderts einen ganzheitlichen Ansatz für das Bauen verbreitet. Auch die Bewegung der „regenerativen Kulturen“, inspiriert durch Daniel Christian Wahl, hat enorm wertvolle Beiträge für die Stadtgestaltung geleistet und mich auch ganz persönlich sehr inspiriert. Außerdem werten wir Forderungen unterschiedlichster Umweltgruppen wie GermanZero und Vereine wie der Gemeinwohlökonomie und Donut-Ökonomie aus, um integrale und systemische Ansätze für die Städte zu entwickeln.
Was ist Ihre Lieblingsstadt als positives Beispiel?
Eine utopische Stadt natürlich! Regenera.city ist eine fiktive regenerative Stadt, die auf der Erde landet. In einer virtuellen Online-Welt kann man sie erkunden und auf spielerische Weise ihre Funktionsweisen entdecken. Auch unsere eigene Vision eines klimaneutralen Stuttgarts im Jahr 2045 gefällt mir gut – biophile Architektur, begehbare Dachgärten und viel Platz für Sport und Kreativität machen Lust auf die Gestaltung unserer Zukunft.
Ihr Schlusswort?
Wir freuen uns über weitere Kooperationen, Sponsoring-Beteiligungen und Städte, die sich mit uns auf den Weg in eine tolle Zukunft machen möchten!